Einfach und ausgeglichen
Wenn ich die Augen schließe, dann kann ich es sehen: Meinen Lebens und Arbeitsalltag der Zukunft. Ich werde entspannter leben. Ich werde mir mehr Zeit für mich und die, die mir wichtig sind, nehmen. Ich werde die perfekte Balance für ein ausgeglichenes Leben finden.
Wenn ich dann aber die Augen wieder öffne, verblasst diese Vorstellung schneller, als mir lieb ist. Plötzlich ist sie wieder da, die Angst zu versagen und nicht gut genug zu sein. Dann kreisen die Gedanken immer und immer wieder um dasselbe Problem, mit dem ständigen Gefühl, dass es keine Lösung gibt. Und es kommt der Moment, in dem man Sachen macht, weil man das Gefühl hat, sie machen zu müssen. Vergessen ist der Spaß, den das Thema, an dem man arbeitet, eigentlich bereiten könnte.
Wenn ich ehrlich bin, dann finde ich mich öfter und schneller in dieser Situation wieder, als ich zugeben möchte, und meistens bemerke ich es erst, wenn meine Familie mir diesbezüglich Rückmeldung gibt. Ich versuche so sehr alles perfekt zu machen und zu funktionieren, dass ich nicht einmal bemerke, dass es eigentlich schon längst zu viel gewesen ist und es Zeit für eine Pause wäre. Und dann?
Dann nehme ich mir vor, es beim nächsten Mal „besser“ zu machen. Nehme mir vor, mehr auf mich zu achten, mehr Ausgleich zu schaffen und eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden, und für ein paar Wochen denke ich sogar, all das dieses Mal umzusetzen, bis zu dem Moment, an dem ich bemerke, dass ich gerade wieder dabei bin, genau das Gegenteil zu tun.
Ich bin Profi darin, meinem Studium und dessen Fachbereich die Schuld zu geben. „Sobald ich zu 100% in der Arbeitswelt angekommen bin, wird es besser.“ So sehr ich mir auch wünsche, dieser Gedanke würde der Wahrheit entsprechen, desto mehr dämmert es mir, dass es wohl nicht so einfach sein wird, aber die Hoffnung möchte ich ebenso wenig aufgeben. Also: Wie schafft man es, gegen geistige Überlastung und inmitten der Vielzahl von Angeboten der Umwelt zur Ruhe zu kommen?
Wie schafft man es, Einflüssen auszuweichen und einen gesunden und ausgeglichenen Lebensstil zu führen? Ich bin nicht die erste Person, die sich dieser Frage stellt. Schon seit Jahren kristallisiert sich bereits ein Trend heraus, den Arbeitsalltag anders und mit mehr Freiheiten zu führen, bis die coronabedingte Homeoffice-Welle bei dem Großteil der Menschen den Arbeitsalltag vollends auf den Kopf gestellt hat. Von Zuhause arbeiten, nah bei der Familie sein, später aufstehen, weil man sich den Weg ins Büro sparen kann. Nach Mallorca fliegen und von dort aus arbeiten, wenn es eh egal ist, ob man zuhause oder am Strand im Warmen arbeitet. Für den einen das reinste Paradies.
Für den anderen ein Arbeitsalbtraum. Plötzlich verschwimmen die Grenzen zwischen Familie und Arbeitswelt. Mit dem neuen Arbeitsplatz „Zuhause“ verschwindet die Differenzierung zwischen der Pflicht, erreichbar zu sein und der Entscheidung, im Feierabend die Arbeit bis zum nächsten Tag ruhen zu lassen.
Ich finde einen Artikel zu „Büros im Garten“ und stoße im Garten einer Bekannten genau auf das. Ein eigenes Büro im Garten, wie ein kleines Gartenhaus. Mit Schreibtisch, Telefon, Bürostuhl, Computer und allem, was während der Arbeit gebraucht wird. Im Homeoffice – aber eben auch nicht zuhause, an einem klar definierten Raum, der ermöglichen soll, besser zwischen Arbeit und Freizeit zu differenzieren. Ist das die Lösung, nach der ich gesucht habe und die meinen Traum vom ausgeglicheneren Arbeitsalltag verwirklichen kann?
Letzten Endes gibt es nicht die eine Lösung oder ein Richtig und Falsch. Viel zu unterschiedlich sind die Menschen und ihre Bedürfnisse. Was für mich funktionieren kann, werde ich erst herausfinden, wenn ich es ausprobiere. Doch worin ich mir absolut sicher bin, ist, dass wir alle unsere Lösung suchen und hoffentlich finden sollten.
Versorgt sein. Eine Vielzahl an Möglichkeiten und ein ständiges Angebot, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Das kann einen überfordern. Aber vielleicht ist es genau in diesem unendlich erscheinenden Fundus an Möglichkeiten und Entscheidungen, die getroffen werden müssen, wichtig, sich auf das Wesentliche und Einfache im Leben zu konzentrieren. Warum an Strukturen festhalten, die mir nicht guttun und sich stattdessen inmitten der Fülle von Eindrücken, Angeboten und Entscheidungen auf das reduzieren, was gut für mich ist? Vielleicht liegt der Schlüssel darin den Anspruch aufzugeben, dass immer alles perfekt sein muss.
Theresa Waldvogel